Betriebsübergang

Verkauft ein Arbeitgeber seine Firma, also Produktionsanlagen, Büros etc., so werden die Arbeitnehmer von diesem Vorgang nach den Regeln des allgemeinen bürgerlichen Rechts zunächst einmal nicht erfasst. Schließlich sind sie ja nicht Eigentum des Arbeitgebers.

Weil die Rechte des Arbeitgebers an seinen Betriebsmitteln und die bestehenden Arbeitsverträge zwei verschiedene Dinge sind, könnte man daraus schließen, dass die in dem verkauften Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer nach wie vor denselben Arbeitgeber haben, nur dass dieser sie aufgrund des Verkaufs nicht mehr beschäftigen kann und demzufolge dazu berechtigt wäre, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen.

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sieht deshalb für diesen Fall vor, dass der neue Betriebsinhaber in alle Rechte und Pflichten der zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt. Ein Betriebsübergang führt also zu einem gesetzlich angeordneten automatischen Wechsel des Arbeitgebers, bei dem das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Diese soziale Schutzvorschrift entspricht jener, die für den Verkauf einer vermieteten Wohnung gilt.

In beiden Fällen zielt das Gesetz auf einen Kompromiss zwischen dem Interesse des Arbeitgebers (Wohnungseigentümers) an einem Verkauf seines Besitzes und dem der betroffenen Arbeitnehmer (Wohnungsmieter).

Grundstücke und Betriebe sollen zwar einerseits jederzeit verkauft werden können, doch sollen Arbeitnehmer oder Mieter dadurch keine Nachteile haben.

Die Fälle von Arbeits- und Mietvertrag sind deshalb nicht exakt vergleichbar, weil es in Fällen des Wohnungseigentümerwechsels kaum Unklarheiten darüber gibt, welche Wohnung und damit welches Mietverhältnis von einem Verkauf betroffen ist.

Anders im Arbeitsrecht: Das Gesetz erläutert nämlich nicht näher, was es bedeutet, dass ein Betrieb oder Betriebsteil den Besitzer wechselt. Daher war diese Frage in der Vergangenheit oft Gegenstand heftiger juristischer Streitigkeiten.

Das Bundesarbeitsgericht und die arbeitsrechtliche Literatur gingen bis Anfang der 1990er Jahre noch davon aus, dass mit Betrieb oder Betriebsteil vor allem sachliche Betriebsmittel wie Produktionsanlagen, Büroeinrichtungen oder dergleichen gemeint sind.

Durch die enorm zunehmende Anzahl von reinen Dienstleistungsbetrieben mit nur wenigen sachlichen Betriebsmitteln ist diese Betrachtungsweise nicht mehr zeitgemäß.

Was der Erwerber eines Dienstleistungsbetriebs übernimmt, ist im wesentlichen:

  • ein bestimmtes Know How,
  • eine bestimmte Art der Arbeitsorganisation und der Qualitätskontrolle,
  • die Ausbildung und das Spezialwissen der Arbeitnehmer und
  • die Kontakte zu Kunden und Auftraggebern.

Daher fragt die Rechtsprechung mittlerweile bei der rechtlichen Prüfung : Handelt es sich um eine »wirtschaftliche Einheit« oder eine organisierte Gesamtheit von Personen beziehungsweise Sachen zu einer auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung?

Bei reinen Dienstleistungsbetrieben wie Reinigung, Personalservice, oder Bewachung führt diese Definition von Betrieb beziehungsweise Betriebsteil dazu, dass es auf die Übernahme der Hauptbelegschaft ankommt. Also darauf, ob der Erwerber einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil der Belegschaft übernimmt.

Betrachten wir ein Bewachungsunternehmen mit 50 Mitarbeitern. 40 davon üben als Wachleute die Bewachungsaufgaben aus, fünf kümmern sich um Organisation, Anleitung und Kontrolle , fünf weitere verhandeln mit den Kunden und erledigen interne Aufgaben wie Buchhaltung, Personal und Steuern. An sachlichen Betriebsmitteln gibt es ein kleines Büro mit sieben Schreibtischen für die fünf Angestellten.

Früher setzte ein Betriebsübergang in diesem Fall voraus, dass das Büro mit seiner Ausstattung übernommen wird sowie der Büromietvertrag.

Den Käufer interessieren natürlich nicht die Schreibtische, sondern die laufenden Bewachungsaufträge und die Art und Weise, wie sie ausgeführt werden. Er hat ein Interesse an den Kunden bzw. Aufträgen, an den fünf Mitarbeitern, die den Betrieb organisieren, und an den fünf Bürokräften. Darüber hinaus interessiert er sich für die 20 Wachleute, die in den letzten zwei Jahren nie krank und nach Aussage ihrer Vorgesetzten stets kurzfristig eingesprungen waren.

Nach alter Rechtsprechung konnte der Käufer einen Betriebsübergang mit der Pflicht zur Übernahme der gesamten Belegschaft einfach verhindern: Er müsste nur den Kauf des Büros ausschlagen. Das ist nach neuer Rechtsprechung nicht mehr möglich, wirft allerdings rechtliche Fragen auf:

Ist die wirtschaftliche Einheit bereits dann übernommen, wenn 20 Wachleute und zwei Büromitarbeiter übernommen werden? Oder müssen zumindest alle fünf Büromitarbeiter übernommen werden? Fragen dieser Art sind oft nicht leicht zu beantworten.

Um zu überprüfen, ob eine »wirtschaftlichen Einheit« übernommen wurde und damit ein Betriebsübergang vorliegt, verwenden die Arbeitsgerichte folgende Checkliste:

  • Art des Unternehmens: Je nachdem, ob es sich eher um einen Produktionsbetrieb handelt oder um einen Dienstleistungsbetrieb, sind für seine Eigenheit sachliche Betriebsmittel wichtig oder weniger wichtig. Daher ist zunächst zu klären, wo der Kern der Wertschöpfung des Betriebs liegt.
  • Übernahme sachlicher Betriebsmittel: Wird die Betriebseinrichtung wie zum Beispiel EDV, Büroeinrichtungen, Fuhrpark, Produktionsmittel übernommen?
  • Wert von ideellen Betriebsmittel (Know How): Werden spezielle Formen der Arbeitsorganisation oder der Qualitätssicherung oder eine sehr spezielle Dienstleistung bzw. ein sehr spezielles Produkt fortgeführt?
  • Übernahme oder Nichtübernahme der Belegschaft: Werden nach Zahl und Sachkunde wesentliche Teile der Belegschaft übernommen?
  • Übernahme oder Nichtübernahme der Kundschaft: Werden bestehende Kundenbeziehungen, insbesondere werthaltige Aufträge, fortgeführt?
  • Ähnlichkeit der Tätigkeit vor und nach dem Übergang: Hier ist zu prüfen, ob die Tätigkeit vor und nach dem Übergang in einer ähnlichen Weise fortgeführt wird, ob also Betriebsmethoden und Arbeitsorganisation im Wesentlichen gleich geblieben sind.
  • Dauer einer möglichen Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit: Eine vorübergehende Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit für einige Tage oder Wochen schließt einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang noch nicht aus. Je nach der Art des Betriebs wird aber nach mehreren Monaten der Betriebsunterbrechung davon ausgegangen, dass kein Betriebsübergang vorliegt.

In vielen Fällen reagieren Arbeitgeber auf wirtschaftliche, technische oder organisatorische Probleme durch Auslagerung von betrieblichen Untergliederungen (»Outsourcing«). Bisher intern erledigte Arbeiten werden an Fremdfirmen übertragen (Gebäudereinigung, Kantine etc.).

Nach der Rechtsprechung kommt es hier entscheidend darauf an, ob die ausgelagerte Einheit oder Abteilung innerhalb des Betriebs wirtschaftlich selbstständig war. Um die Frage der Selbständigkeit beantworten zu können, wird geprüft,

  • Hatte die Einheit zum Zeitpunkt der Auslagerung besondere Kunden oder Aufträge,
  • besaß sie speziell qualifizierte Arbeitnehmer,
  • wies sie eine besondere Form der Arbeitsorganisation auf oder
  • waren ihr eigene Betriebsmittel wie zum Beispiel spezielle Maschinen oder besondere Räumlichkeiten zugeordnet?

Sind diese Fragen mit ja zu beantworten, handelt es sich um eine selbstständige wirtschaftliche Einheit und somit um einen Betriebsteil.

In manchen Fällen ist nicht klar, ob bestimmte Arbeitnehmer von einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang betroffen sind, da ihre Zuordnung zu betrieblichen Einheiten in der Vergangenheit oft gewechselt hat oder weil sie übergeordnete Stabs- oder Verwaltungsaufgaben erfüllen, ohne den speziell dafür zuständigen Abteilungen anzugehören.

Der Grund für Unklarheiten bei der Zuordnung von Arbeitnehmer und Betriebsteil kann auch in einer längeren Abwesenheit liegen, etwa an einem Auslandseinsatz, einer Elternzeit oder einer Freistellung von Betriebsratsmitgliedern. Hier kommt es darauf an, zu welcher betrieblichen Einheit der Arbeitnehmer vor der Abwesenheit gehörte, wobei die Schwierigkeit darin bestehen kann, dass diese betriebliche Einheit inzwischen nicht mehr existiert.

In solchen Fällen zählt, zu welcher betrieblichen Einheit der Arbeitnehmer nach objektiven Kriterien gehört. Grundlage der Zuordnung ist in aller Regel das sogenannte Weisungsrecht des Arbeitgebers, von dem dieser allerdings nur unter angemessener Berücksichtigung der Interessen des Arbeitnehmers Gebrauch machen kann.

Es ist zwar nicht verboten und kommt auch häufig vor, dass aus Anlass eines Betriebsübergangs den betroffenen Arbeitnehmern neue Arbeitsverträge zur Unterschrift vorgelegt werden. Da der Betriebsübergang als solcher aber nicht zu Änderungen des Vertragsinhalts führt, gibt es keine Notwendigkeit, etwas zu unterschreiben.

Andererseits spricht auch nichts dagegen, den Wechsel des Arbeitgebers in einem Vertrag festzuhalten, doch ist dieser dann deklaratorisch, er gibt also nur wieder, was ohnehin aus dem Gesetz folgt.

Das Gesetz schützt Arbeitnehmer vor nachteiligen Veränderungen. In unserem Beispielfall arbeitet ein Arbeitnehmer mit einer Dienstzeit von 20 Jahren bei der Deutschen Telekom in einer betrieblichen Einheit, die an eine Tochtergesellschaft der Telekom übergeht. Ihm wird ein Arbeitsvertrag vorgelegt, der nur noch zehn Dienstjahre beinhaltet. Eine solche Vereinbarung ist zwar nicht verboten, aber rechtlich wirkungslos, Das Arbeitsverhältnis geht mitsamt den 20 Vordienstjahren Kraft Gesetz auf den Betriebserwerber über. Daran kann auch eine abweichende Vereinbarung nichts ändern.

Verzichtet der Arbeitnehmer aus Anlass eines Betriebsübergangs auf einzelne Rechte aus seinem Arbeitsvertrag, verlangt die Rechtsprechung dafür einen sachlichen Grund. Ansonsten gilt die Vertragsänderung als unzulässige Abweichung von den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und ist damit wirkungslos.

Anders ist es, wenn die Vertragsparteien einige Zeit nach dem Betriebsübergang eine Arbeitsvertragsänderung zu Lasten des Arbeitnehmers vereinbaren. Sie ist im Allgemeinen wirksam, falls keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der gesetzliche Bestandsschutz umgangen werden soll.

Für Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen gelten jedoch Sondervorschriften:

Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung werden Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen frühestens nach zwölf Monaten zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. (es gibt jedoch eng gefasste Ausnahmen).

Für Arbeitgeber gilt unterm Strich, dass ein Betriebsübergang nicht ohne Weiteres dazu genutzt werden kann, teure Tarifverträge durch billigere zu ersetzen, von denen der Käufer dann profitieren kann.

Ein Mieter kann nicht verhindern, beim Verkauf seiner Mietwohnung einen neuen Vermieter zu bekommen. Ein Arbeitnehmer aber kann sich im Fall eines Betriebsübergangs sehr wohl gegen einen neuen Arbeitgeber wehren.

Damit er die Wahl hat zwischen altem und neuen Arbeitgeber, schreibt das Gesetz eine ausführliche Information der Arbeitnehmer vor. Auf der Grundlage dieser Information kann er dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Käufer widersprechen, und zwar ohne Begründung.

Die Arbeitnehmer müssen bei einem Betriebsübergang in Textform über folgende Punkte informiert werden:

  • den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
  • den Grund für den Übergang,
  • die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
  • die für die Arbeitnehmer geplanten Maßnahmen.

Diese Informationspflichten werden von den Arbeitsgerichten sehr ernst genommen. Daher kann es leicht passieren, dass Informationen über einen bevorstehenden Betriebsübergang unvollständig sind.

Arbeitnehmer können dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses einen Monat lang schriftlich widersprechen, und zwar sowohl gegenüber ihrem bisherigen Arbeitgeber als auch gegenüber dem neuen Betriebsinhaber. Wurden sie nicht korrekt informiert, gibt es keine zeitliche Befristung für ihren Widerspruch.
Ein Widerspruch bewirkt, dass das Arbeitsverhältnis mit dem alten Arbeitgeber fortbesteht.
Wenn der Arbeitnehmer lange Zeit nach dem Betriebsübergang der Überleitung seines Arbeitsverhältnisses widerspricht, weil die damals erhaltene Information nicht korrekt war, hat der Widerspruch Rückwirkung, d.h. das alte Arbeitsverhältnis mit dem Verkäufer wird rückwirkend wieder in Kraft gesetzt, als wäre es nie unterbrochen worden.

Hat der alte Arbeitgeber aufgrund der Betriebsveräußerung keine Möglichkeit mehr, den widersprechenden Arbeitnehmer zu beschäftigen, droht eine betriebsbedingte Kündigung durch diesen.
Welche Auswirkungen hat ein Widerspruch bei einem Betriebsübergang auf den Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen?
Infolge der Ausübung des Widerspruchsrechts bleiben die widersprechenden Arbeitnehmer zwar wie gesagt bei ihrem bisherigen Arbeitnehmer, doch wird dieser eine betriebsbedingte Kündigung in Betracht ziehen.
Sowohl der alte wie der neue Arbeitgeber können vor, bei oder nach einem Betriebsübergang Kündigungen aussprechen. Jedoch keinesfalls wegen des Betriebsübergangs. Dafür müssen sie andere Gründe anführen.

Es wird jeweils der Einzelfall geprüft. Bei einer ordentlichen Kündigung aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen dürfte es unwahrscheinlich sein, dass der Betriebsübergang der heimliche Grund für die Kündigung ist. Bei einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung ist ein solcher Zusammenhang schon eher wahrscheinlich, Auch hier ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein konkretes Sanierungskonzept Käufer wie Verkäufer zum Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen berechtigen kann.

Unwirksam ist zum Beispiel eine betriebsbedingte Kündigung des Verkäufers mit der Begründung, dass der Käufer die Arbeitnehmer nicht übernehmen will.

Da der Käufer automatisch und zum Stichtag des Übergangs den Verkäufer ersetzt, besteht die Gefahr, dass ausstehenden Löhne oder Lohnrückstände aufgrund wegen des Betriebsübergangs nicht gezahlt werden.

Ein Beispielfall: Der Arbeitgeber hat das Weihnachtsgeld für 2013 und 2014 nicht bezahlen können und es sich von den Mitarbeitern stunden lassen. Inzwischen kann er auch die Löhne für März 2015 nicht bezahlen. Er überträgt daher zur Vermeidung einer Insolvenz seinen gesamten Betrieb auf eine eigens dafür gegründete GmbH, die mittellos ist.

Damit der Firmeninhaber sich auf diese Weise nicht auf Kosten seiner Mitarbeiter seiner Schulden entledigen kann, sieht das BGB eine Mithaftung des Vorbesitzers vor. Hat der neue Besitzer nicht genug Geld, haftet der alte für die Hälfte der ausstehenden Lohnrückstände.

Ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmervertretung besteht bei einem Betriebsübergang übrigens nicht. Der Betriebsrat kann daher Verhandlungen über einen Interessenausgleich verlangen noch die Aufstellung eines Sozialplans.

Zwar bleibt der Betriebsrat trotz des Betriebsübergangs im Amt und kann Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan führen. Doch wird der Soziaplan in einer solchen Situation dürftiger sein als er es wäre, wenn der Verkäufer eine Massenentlassung oder Betriebsstilllegung vorgenommen hätte.

Anders als Betriebsübergänge stellen Betriebsteilübergänge nach der Rechtsprechung in der Regel eine Betriebsänderung dar und lösen die Pflicht zu Interessenausgleichsverhandlungen und zur Aufstellung eines Sozialplans aus.

Ebenfalls nicht erzwingbar ist ein Sozialplan, wenn der Erwerber eines Betriebsteils Änderungen wie eine Stilllegung oder eine Massenentlassung vornimmt, welche eine Pflicht des Verkäufers zur Beteiligung an den Sozialplankosten vorsehen. Dafür sind bestimmte Fristen vorgeschrieben.