Zurückbehaltungsrecht

Das Zurückbehaltungsrecht ist ein Gegenrecht (eine Einrede), von dem ein Schuldner Gebrauch machen kann aber nicht muss. Es setzt einen gegen ihn gerichteten Anspruch vorübergehend außer Kraft, indem es den Gläubiger dazu auffordert, seinerseits eine ihn treffende Verbindlichkeit zu erfüllen.

Beruft sich der Schuldner nicht ausdrücklich auf sein Zurückbehaltungsrecht, hat es keine rechtliche Wirkung. Der Schuldner muss dem Gläubiger unmissverständlich erklären, dass und warum er seine Leistung vorübergehend zurückbehält.

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch kann der Schuldner, wenn er ebenfalls einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat, die Leistung im Allgemeinen verweigern, bis der Gläubiger seinerseits geleistet hat.
Darüber hinaus bestimmt das Bürgerliche Gesetzbuch, dass der Partner eines gegenseitigen Vertrags seine Leistung verweigern kann, bis die Gegenleistung, erbracht ist. Es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist.

Der Unterschied zwischen diesen beiden Bestimmungen besteht darin, dass das erstgenannte Zurückbehaltungsrecht etwas schwächer ist als das zweite. Im ersten Fall kann der Gläubiger nämlich durch Sicherheitsleistung das Zurückbehaltungsrecht abwenden. Er kann stattdessen zum Beispiel einen Gegenstand verpfänden oder Geld oder Wertgegenstände als Sicherheit hinterlegen. Im zweiten Fall kann der Gläubiger das Zurückbehaltungsrecht nur durch die Erbringung der vertraglichen Leistung abwenden.

Der Unterschied zwischen beiden Rechten ist aber gering, so dass die Berufung auf die eine oder andere Gesetzesvorschrift im Ergebnis keinen Unterschied macht.

Dem Arbeitnehmer steht ein Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung zu, wenn der Arbeitgeber seine Pflicht zur Gewährleistung der Sicherheit am Arbeitsplatz nicht erfüllt. Verlangt der Arbeitgeber daher zum Beispiel die Arbeit in asbestbelasteten Räumen, kann der Arbeitnehmer aufgrund der damit verbundenen Gesundheitsgefährdung die Arbeitsleistung verweigern und Beschäftigung unter asbestfreien Bedingungen verlangen.

Ein Zurückbehaltungsrecht kommt weiterhin in Betracht, wenn das Verhalten von Arbeitskollegen eine Belästigung oder sexuelle Belästigung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes darstellt.

In diesem Fall können die betroffenen Arbeitnehmer ihre Tätigkeit ohne Verlust des Arbeitsentgelts einstellen, wenn dies zu ihrem Schutz erforderlich ist und wenn der Arbeitgeber keine oder offensichtlich ungeeignete Gegenmaßnahmen ergreift. Als Belästigungen gelten Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen, falls diese aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verübt werden.

Praktisch besonders bedeutsam ist schließlich das Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber mit der Zahlung des Lohns in Verzug geraten ist. Dadurch ist der Arbeitnehmer davor geschützt, durch immer weitere Vorleistungen dauerhaft ohne Vergütung zu arbeiten.

Nach allgemeiner Meinung darf ein Arbeitnehmer nach dem Prinzip von Treu und Glauben die Arbeit nicht verweigern

  • wenn die ausstehende Vergütung verhältnismäßig geringfügig ist;
  • wenn nur eine kurzfristige Verzögerung der Zahlung zu erwarten ist;
  • wenn dem Arbeitgeber durch die Arbeitsverweigerung ein unverhältnismäßig hoher Schaden entstehen würde oder
  • wenn die Vergütung auf andere Weise gesichert ist. Der mögliche Anspruch auf Insolvenzgeld vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt allerdings keine solche Sicherung dar.

Vor allem im öffentlichen Dienst sollte man diese Beschränkungen ernst nehmen, da man hier einen zahlungskräftigen Arbeitgeber hat und man diesem auch in höherem Maß als in der privaten Wirtschaft zur Treue verpflichtet ist.

Es ist leider nicht gesetzlich definiert, wie viele Monatsgehälter offen sein müssen, damit das Zurückbehaltungsrecht ausgeübt werden darf Auf der sicheren Seite dürfte man aber sein, wenn der Arbeitgeber mit zwei vollen Monatszahlungen im Rückstand ist. Das ist kein nur geringfügiger Rückstand mehr. Ist der Arbeitgeber daher mit zwei oder mehr Gehältern im Rückstand, ist eine Verweigerung der Arbeitsleistung bis zur Zahlung zulässig.

Nachträgliche Teilzahlungen des Arbeitgebers können dazu führen, dass das ursprünglich zu Recht ausgeübte Zurückbehaltungsrecht wieder entfällt. Hat der Arbeitnehmer daher unter Verweis auf zwei in vollem Umfang rückständige Lohnansprüche von seinem Zurückbehaltungsrecht in zulässiger Weise Gebrauch gemacht, muss er nicht nur bei vollständigen Zahlungen, sondern auch bei Teilzahlungen des Arbeitgebers wieder bei der Arbeit erscheinen. Sein Zurückbehaltungsrecht fällt wieder weg, wenn der Arbeitgeber zum Beispiel einen der beiden offenen Monatslöhne bezahlt.

Ein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers an den Sachen des Arbeitgebers ist generell ausgeschlossen. Übt nämlich der Arbeitnehmer die tatsächliche Gewalt über eine Sache für den Arbeitgeber in dessen Erwerbsgeschäft aus und muss dabei den auf die Sache bezogenen Weisungen des Arbeitgebers Folge leisten, bleibt allein der Arbeitgeber deren Besitzer.

Daher würde sich der Arbeitnehmer ins Unrecht setzen, wenn er die in seiner Verfügungsgewalt stehenden Sachen des Arbeitgebers zurückbehalten würde.

Der Arbeitnehmer kann nur in Ausnahmefällen ein Zurückbehaltungsrecht an dem Arbeitgeber gehörenden Sachen ausüben: Falls er nämlich ausnahmsweise doch einmal Besitz an diesen Sachen hat. Das kommt insbesondere bei der Überlassung eines Firmenwagens in Betracht, falls dieser vom Arbeitnehmer auch privat genutzt werden kann.

Die berechtigte Zurückbehaltung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer führt zum Arbeitsausfall. Damit stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber den Arbeitsausfall vergüten muss.

Dies ist nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte der Fall.

Lohnrückstände bringen den Arbeitgeber daher ab dem Zeitpunkt einer berechtigten Arbeitsverweigerung durch den Arbeitnehmer in eine rechtlich und wirtschaftlich ungünstige Lage. Einerseits hat er Probleme, die betrieblichen Abläufe aufrecht zu erhalten, andererseits muss er trotz der Leistungsverweigerung den Lohn weiterzahlen.

Arbeitnehmer können sich für die Zeit der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts arbeitslos melden und Arbeitslosengeld beantragen. Ebenso wie die Arbeitsgerichte sieht die Arbeitsagentur einen Gehaltsrückstand von zwei Monatslöhnen als ausreichend für die Leistungsverweigerung und die anschließende Arbeitslosmeldung an. Trotz des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitnehmer Arbeitslosengeld I beanspruchen.

Bei der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts muss man mitteilen, dass und warum man seine Arbeit zurückhält. Arbeitnehmer, die vom Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machen wollen, sollten dies daher am besten schriftlich tun. Dabei sollten sie genau sagen, welche Leistungen der Arbeitgeber erbringen muss, damit der Arbeitnehmer wieder arbeitet.

Wird das Zurückbehaltungsrecht wegen rückständigen Arbeitslohns ausgeübt, sollte man die offenen Beträge genau bezeichnen und erklären, für welchen Zeitraum wieviel Geld aussteht.

Außerdem müssen Arbeitnehmer vorsichtig sein, wenn sie gemeinsam mit Kollegen von Ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machen, da die Rechtsprechung ein solches Vorgehen in einigen Fällen als Streik bewertet hat und ein Streik nur dann rechtmäßig ist, wenn er von der Gewerkschaft organisiert wird.

Es empfiehlt sich daher, darauf zu achten, dass jeder Arbeitnehmer sein Zurückbehaltungsrecht mit einem eigenen Schreiben und mit seinen individuellen Lohnforderungen begründet.

Dem Arbeitgeber steht ein Zurückbehaltungsrecht an der Vergütung zu, wenn sich der Arbeitnehmer zu Unrecht weigert, Sachen des Arbeitgebers herauszugeben.

Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ist auch zulässig, wenn der Arbeitgeber – etwa nach Ausspruch einer rechtlich unwirksamen Kündigung – den Lohn nachentrichten muss. Gibt der Arbeitnehmer in einer solchen Situation trotz Nachfrage keine Auskunft darüber, ob oder in welcher Höhe er einen Zwischenverdienst bei einem anderen Arbeitgeber und/oder Arbeitslosengeld bezogen hat, kann der Arbeitgeber die an sich geschuldete Vergütung vorübergehend verweigern. Er hat nämlich einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer. Solange der Arbeitnehmer diese Auskunftsanspruch nicht erfüllt, kann der Arbeitgeber die Zahlung des Lohns vorübergehend verweigern.

In der Praxis wichtig ist auch das Zurückbehaltungsrecht, das dem Arbeitgeber zusteht, wenn sich der Arbeitnehmer krankgemeldet hat und daher Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verlangt, aber keine ärztliche Bescheinigung über die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eingereicht hat. Das muss er nämlich unaufgefordert tun, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage dauert; darüber hinaus ist der Arbeitgeber berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung schon früher zu verlangen.

Solange dem Arbeitgeber die Krankschreibung nicht vorliegt, kann er sich auf den Standpunkt stellen, von der Arbeitsunfähigkeit erst einmal nichts zu wissen. Das gibt ihm ein Zurückbehaltungsrecht, bis der Arbeitnehmer den Nachweis seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit geführt hat.

Allgemein rechtlich ausgeschlossen ist ein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitgebers an den Arbeitspapieren. Dies ist zum Teil bereits aufgrund spezieller gesetzlicher Vorschriften unzulässig, weil eine solche Maßnahme den Arbeitnehmer in unverhältnismäßiger Weise belasten würde.

Nicht zurückbehalten darf der Arbeitgeber daher generell

  • die Arbeitsbescheinigung;
  • die Lohnsteuerkarte und Lohnsteuerbescheinigung;
  • die schriftliche Mitteilung über die sozialversicherungsrechtliche Abmeldung;
  • die Urlaubsbescheinigung, also den Nachweis über den im laufenden Kalenderjahr gewährten oder abgegoltenen Urlaub;
  • das Zeugnis.

Der Arbeitgeber wird in der Regel zur Durchsetzung von Gegenansprüchen die vorübergehende Zurückbehaltung der Arbeitsvergütung in Betracht ziehen.

Dabei muss er beachten, dass er zu einer Kürzung der bereits fälligen Sozialabgaben nicht berechtigt sind. Außerdem muss er dem Arbeitnehmer den unpfändbaren Teil des Nettolohns auszahlen.

Laut Sozialgesetzbuch ist der Arbeitgeber auch dann zur Abführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags verpflichtet ist, wenn er den Lohn an den Arbeitnehmer gar nicht auszahlen will oder kann. Voraussetzung der Fälligkeit der Sozialbeiträge ist allein, dass der Arbeitnehmer unter der Geltung einer bestimmten Vergütungsregelung während eines Monats gearbeitet hat.

Auch ein dem Arbeitnehmer vorenthaltener Lohn löst die Pflicht zur Abführung der Sozialabgaben aus. Führt er ihn nicht ab, kann er sich sogar strafbar machen.

Das heißt im Ergebnis, dass das Zurückbehaltungsrecht nur am Nettolohnanspruch und an der Lohnsteuer ausgeübt werden kann.

Diese Beschränkung des Zurückbehaltungsrechts folgt aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch.

Da die Arbeitsvertragsparteien über ihr Vertragsverhältnis frei verfügen können, ist auch ein vertraglicher Verzicht des Arbeitnehmers und/oder des Arbeitgebers auf das Zurückbehaltungsrecht möglich.

Das gilt jedoch nur dann, wenn dieser Verzicht im Weg einer individuell ausgehandelten Vertragsbestimmung erklärt wird. Ein Verzicht des Arbeitnehmers ist dagegen unwirksam, wenn er Teil der vom Arbeitgeber vorformulierten allgemeinen Vertragsbedingungen ist.